Muskelfasertypen sind ein Thema, das im Kraftsport und Bodybuilding bislang eher wenig Beachtung gefunden hat. Warum also solltest du dich ausgerechnet mit diesem Thema näher auseinandersetzen? Die Antwort fällt leicht: Weil das Wissen um die Muskelfasertypen dir helfen wird, dein Training zu optimieren!
Leider muss ich schon seit Jahren beobachten, dass die Mehrheit der Fitnessexperten zu pauschale und einseitige Trainingsempfehlungen gibt. Die teils gravierenden genetischen Unterschiede von Athlet zu Athlet werden hierbei außer Acht gelassen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass manche Kraftsportler kaum Fortschritte verbuchen können, obwohl sie sich an die gängigen Empfehlungen für Muskelaufbau halten. Dabei ist es doch im Grunde genommen ganz einfach: Ein Muskelaufbau-Training ist immer dann effektiv, wenn es zur individuellen Genetik des Athleten passt. Die genetischen Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind kein Buch mit sieben Siegeln, sondern größtenteils bekannt. Einer der wichtigsten Einflussfaktoren ist die individuelle Muskelfaserverteilung. Willst du maximalen Muskelaufbau, solltest du also dein Training an deine Muskelfaserverteilung anpassen.
Aufbau der Muskelfasern
Jeder Muskel des Bewegungsapparats besteht aus Muskelfasern. Mehrere Muskelfasern sind zu Muskelfaserbündeln zusammengefasst, mehrere Muskelfaserbündel ergeben zusammen den Muskel.
Bei der Muskelfaser handelt es sich gleichzeitig um die Muskelzelle. Muskelfasern unterscheiden sich aber von typischen Zellen, wie man sie aus dem Biologieunterricht kennt: Sie haben sehr viel größere Ausmaße. Die längsten Muskelfasern im menschlichen Körper können 30 -40 cm Länge erreichen. Sie können sich auch nicht, wie bei den meisten Zelltypen üblich, durch Zellteilung vermehren. Muskelwachstum findet stattdessen (hauptsächlich) durch Dickenwachstum der Muskelfasern statt.
Im menschlichen Körper unterscheidet man 2 verschiedene Muskelfasertypen, von denen einer nochmals in zwei Untertypen unterteilt werden kann. Die Muskelfasertypen sind stark spezialisiert. Dadurch ist der Körper an die unterschiedlichen Belastungen angepasst, die im Alltag und im Sport auf uns wirken.
Abb.1: Aufbau der Muskelfasern
Typ 1 Muskelfasern
Typ 1 Muskelfasern sind auf Dauerleistung mit begrenztem Kraftaufwand ausgelegt. Sie sind sehr ermüdungsresistent, weisen aber ein vergleichsweise geringes Kraftniveau auf. Man kann sie daher auch als Ausdauer-Muskelfasern bezeichnen.
Aufbau
Das Innere der Ausdauer Muskelfasern enthält besonders viele Mitochondrien, die als Zellkraftwerke den oxidativen Stoffwechsel betreiben. Dagegen ist die Anzahl an Myofibrillen geringer als bei Typ 2 Muskelfasern. Dadurch haben Typ 1 Muskelfasern von Natur aus einen geringeren Durchmesser.
Stoffwechsel
Die Ausdauer-Muskelfasern sind der ökonomischere von beiden Muskelfasertypen. Sie sind überwiegend auf oxidativen Stoffwechsel spezialisiert (Verbrennung mit Sauerstoff). Dadurch sind sie in der Lage, die vorhandenen Energieressourcen des Körpers vollständig auszuschöpfen. Es entstehen keine Abfallprodukte, die den Muskel ermüden lassen. Dieser Stoffwechselweg ist jedoch langsamer. Dadurch sind die Typ 1 Muskelfasern nicht in der Lage, große Energiemengen auf einmal bereitzustellen.
Aufgrund ihres langsameren Stoffwechsels und der Art von Nervenimpulsen, mit denen sie angesteuert werden, entwickeln die Typ 1 Muskelfasern nicht nur weniger Kraft, sondern weisen auch eine geringere Kontraktionsgeschwindigkeit auf. Man bezeichnet sie daher auch als Langsam zuckende Muskelfasern bzw. Slow Twitch Muskelfasern (ST Fasern).
Da der Körper immer versucht, möglichst ökonomisch mit seinen Ressourcen hauszuhalten, kommen bei Alltagsbelastungen und moderaten Kraftanstrengungen zunächst nur die Ausdauer-Muskelfasern zum Einsatz. Erst bei größeren Kraftanstrengungen oder explosiven Bewegungen werden zusätzlich Muskelfasern vom Typ 2 zugeschaltet – jedoch immer nur so viele, wie unbedingt nötig.
Aussehen
Die Typ 1 Muskelfasern enthalten besonders viel vom Roten Muskelfarbstoff Myoglobin (für den Sauerstofftransport innerhalb der Muskelzelle verantwortlich). Daher werden sie auch als Rote Muskelfasern bezeichnet.
Wie du siehst, waren die Forscher sehr kreativ darin, ein und demselben Muskelfasertypen möglichst viele verschiedene Namen zu verpassen. Wir merken uns am besten die Begriffe Typ 1 Muskelfaser und Ausdauer-Muskelfaser.
Typ 2 Muskelfasern
Typ 2 Muskelfasern ermüden schnell, sind dafür aber in der Lage, enorme Kraft zu entfalten. Man kann sie daher auch als Kraft-Muskelfasern bezeichnen.
Aufgrund der schnellen Ermüdung sind Kraft-Muskelfasern nicht für den Dauerbetrieb konzipiert. Sie werden vom Körper eingesetzt, um bei hohen Kraftanstrengungen oder explosiven Bewegungen die Typ 1 Muskelfasern zu unterstützen. Hohe Kraftanstrengungen können immer nur für kurze Zeit aufrechterhalten werden.
Aufbau
Gemäß ihrer Funktion, besteht das Innere der Kraft-Muskelfasern überwiegend aus sogenannten Myofibrillen. Das sind kontraktile Eiweißstrukturen, die von einem Ende der Muskelfaser zum anderen reichen und die eigentliche Muskelarbeit leisten.
Stoffwechsel
Die Typ 2 Muskelfasern sind mit all ihren Zellbestandteilen überwiegend auf anoxidativen Stoffwechsel optimiert (Verbrennung ohne Sauerstoff). Dadurch haben sie Zugang zu Stoffwechselwegen, mit denen sehr schnell sehr viel Energie für heftige Muskelkontraktionen bereitgestellt werden kann. Der Nachteil besteht darin, dass Kohlenhydrate über den anoxidativen (bzw. anaeroben) Weg nicht vollständig abgebaut werden können. Es bleibt das Abfallprodukt Laktat zurück. Durch einen dummen Zufall der Natur blockiert dieses Laktat leider den Muskelstoffwechsel. Ist im Muskel eine kritische Laktatkonzentration erreicht, ist keine weitere Kontraktion mehr möglich. Das Muskelversagen tritt ein. Auf diese Weise gräbt sich die Typ 2 Muskelfaser selbst das Wasser ab. Dieser Prozess ist ein notwendiges Übel, damit der Körper überhaupt hohe Kraftleistungen vollbringen kann.
Zu den anaeroben Stoffwechselwegen zählt auch die Energiegewinnung aus ATP und Kreatin (letzteres ist dir wahrscheinlich bereits als Nahrungsergänzungsmittel bekannt). Deshalb besitzen die Typ 2 Muskelfasern besonders große Phosphatspeicher (Speicher für ATP und Kreatin). Hierbei fällt kein Laktat an. Die Phosphatspeicher liefern jedoch nur Energie für wenige Sekunden.
Aufgrund der schnellen Stoffwechselwege und der schnellen Innervation besitzen die Typ 2 Muskelfasern neben dem hohen Kraftniveau auch eine hohe Kontraktionsgeschwindigkeit. Man bezeichnet sie daher auch als Schnell Zuckende Muskelfasern, bzw. Fast Twitch Fasern (FT Fasern).
Aussehen
Die Kraftmuskelfasern besitzen nur wenig roten Muskelfarbstoff (Myoglobin), da sie weniger auf Sauerstofftransport angewiesen sind. Der Mangel an Myoglobin verleiht ihnen eine Blasse Färbung, was ihnen auch den Namen Weiße Muskelfasern einbrachte.
Untertypen von Typ 2 Muskelfasern
Die Kraft-Muskelfasern lassen sich nochmals in 2 Untertypen unterscheiden. Es gibt die eigentlichen Kraft-Muskelfasern vom Typ 2B. Dieser ist so, wie in diesem Abschnitt beschrieben. Damit es nicht ganz so einfach ist, findet man in der Literatur dafür manchmal auch die Bezeichnungen Typ 2X oder FTG Fasern.
Daneben gibt es noch eine Art Mischtyp, der mit seinen Eigenschaften zwischen den Kraft-Muskelfasern und den Ausdauer-Muskelfasern liegt. Diesen Typ bezeichnet man als Typ 2A. Andere Namen dafür sind FTO Fasern oder Rosa Fasern. Klingt kompliziert? Keine Bange, das brauchst du dir nicht alles zu merken! Die Unterscheidung der Kraft-Muskelfasern in Untertypen ist für die Trainingspraxis bestenfalls zweitrangig.
Muskelfasertypen und Muskelaufbau
Krafttraining hat im Muskel vielfältige Anpassungen zur Folge. Das nach außen hin sichtbare Muskelwachstum kommt vor allem dadurch zustande, dass sich die Myofibrillen (kontraktile Eiweißstrukturen) in der Muskelfaser vermehren.
Die mechanische Belastung beim Krafttraining führt dazu, dass die Myofibrillen leicht beschädigt werden. Dadurch werden komplizierte Reparaturprozesse ausgelöst, durch die sich letzten Endes die Anzahl der Myofibrillen in der Muskelfaser erhöht. Dadurch nimmt die Muskelfaser an Umfang zu.
Muskelwachstum bei Typ 1 Muskelfasern
Leider enthalten die Ausdauer-Muskelfasern vergleichsweise wenig kontraktile Eiweißstrukturen. Zudem entwickeln sie keine hohen Muskelspannungen. Dadurch sind sie wenig empfänglich für mechanische Belastungsreize.
Typ 1 Muskelfasern haben daher nur ein geringes Wachstumspotential.
Sie passen sich vor allem auf Stoffwechselebene an das Krafttraining an. Das bedeutet aber nicht, dass Ausdauer-Muskelfasern gar nicht wachsen könnten. Zu den Stoffwechselanpassungen gehört nämlich auch, dass sich die Mitochondrien vermehren und die Glykogenspeicher (Kohlenhydratspeicher) vergrößert werden. Auch das führt zu einer gewissen Umfangszunahme.
Typ 1 Muskelfasern wachsen hauptsächlich durch die Stoffwechselausbelastung beim Training. Der wichtigste Wachstumsreiz für sie ist das Trainingsvolumen. Das Trainingsgewicht ist von untergeordneter Bedeutung.
Muskelwachstum bei Typ 2 Muskelfasern
Die Kraftmuskelfasern passen sich an Krafttraining vor allem durch eine Vermehrung ihrer kontraktilen Eiweißstrukturen an. Sie bauen beim Training hohe Muskelspannungen auf und sind daher sehr empfänglich für Mikrorisse und die daraus resultierenden Wachstumsreize.
Typ 2 Muskelfasern haben somit ein hohes Wachstumspotential.
Typ 2 Muskelfasern wachsen hauptsächlich durch mechanische Reize. Der wichtigste Wachstumsreiz ist für sie das Trainingsgewicht und die daraus resultierende Muskelspannung. Das Trainingsvolumen spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Muskelfasertypen und Regeneration
Die beiden Muskelfasertypen haben unterschiedlich hohen Regenerationsbedarf. Auch das solltest du bei deiner Trainingsplanung beachten.
Die meiste Regenerationszeit wird gar nicht für den Muskel selbst benötigt, sondern für den Nerv, der ihn versorgt. Ebenfalls viel Zeit wird für die Reparatur der mechanischen Schäden benötigt. Die übrigen Anpassungen gehen vergleichsweise schnell vonstatten.
Daraus wird schon ersichtlich, dass eine Kraft-Muskelfaser eine viel längere Zeit zur Regeneration benötigt als eine Ausdauer-Muskelfaser. An der Kraft-Muskelfaser entstehen durch das Training nämlich viel heftigere mechanische Schäden. Auch die versorgenden Nerven werden bei den Typ 2 Muskelfasern viel stärker belastet.
Die Typ 2 Muskelfasern haben zwar ein enormes Wachstumspotential, stehen sich aber dank ihrer langen Regenerationszeit ein Stück weit selbst im Weg. Was das für dein Training bedeutet, wird in kommenden Artikeln noch näher erläutert werden.
Bedeutung der Muskelfasertypen für dein Training
Nachdem du nun sehr viel theoretisches Wissen erwerben durftest, stellt sich natürlich die Frage: Was nützt dir das alles für dein Training?
Dazu solltest du wissen, dass die Muskelfaserverteilung von Athlet zu Athlet und von Muskel zu Muskel unterschiedlich ist. Etwa 50% der Bevölkerung hat ein einigermaßen ausgeglichenes Verhältnis zwischen beiden Muskelfasertypen. Daneben gibt es aber auch die, die von der Norm Abweichen. Etwa 25% der Bevölkerung haben jeweils einen erhöhten Anteil an Typ 1 bzw. Typ 2 Muskelfasern. Wie du oben gelernt hast, weisen die Muskelfasertypen völlig unterschiedliche Eigenschaften auf und reagieren ganz anders auf Krafttraining. Daher gelten für unterschiedliche Athleten unterschiedliche Regeln im Training. Willst du wirklich vorankommen, solltest du dich von pauschalen Trainingsempfehlungen, wie du sie bisher kanntest, verabschieden.
Oder, wie ein weiser Jedi-Meister einst sehr treffend sagte:
„Vergessen musst du alles, was du gelernt!“
Das Training an die Muskelfaserverteilung anpassen
Um dein Training zu optimieren, solltest du mittels Muskelfasertest deine individuelle Muskelfaserverteilung herausfinden.
Sobald du herausgefunden hast, welcher Muskelfasertyp in deinem Körper überwiegt, heißt es dann, genau das zu trainieren, worauf diese Muskelfasern besonders gut ansprechen. Alles andere wäre bloß vertane Zeit.
Bei überwiegend Typ 1 Muskelfasern
- Training am oberen Ende des Hypertrophiebereichs bei 12-15 Wiederholungen
- viele Sätze pro Muskel pro Trainingseinheit
Bei überwiegend Typ 2 Muskelfasern
- Training am unteren Ende des Hypertrophiebereichs bei 5-8 Wiederholungen
- wenige Sätze pro Muskel pro Trainingseinheit
- am besten Ganzkörpertraining
Bei etwa der Hälfte der Athleten wird es sich so verhalten, dass keiner der beiden Muskelfasertypen überwiegt. Hier empfiehlt es sich im Training einen Mittelweg einzuschlagen, der sich aber mehr am Training der Kraft-Muskelfasern orientiert, da diese das größte Wachstumspotential aufweisen.
Ein noch differenzierteres Trainingssystem hat der Fitness-Autor Jan Kralle entwickelt. Mit seinem Faserspezifischen Training, kurz FST, ist es möglich, in einer Trainingseinheit geziehlt einen einzelnen Muskelfasertypen anzusprechen. Mehr über dieses Trainingssystem kannst du in Jan Kralles Büchern nachlesen:
Faserspezifisches Training: Theorie + Praxis
Kraftkörper: gesund, fit, stark
Bildquellen:
Abb.1 und Titelbild: modifiziert nach OpenStax, Textbook Anatomy and Physiology, Ursprungsdatei lizenziert unter CC BY 4.0
Abb.2: „Muskel quergestreift“ von Rollroboter, lizenziert unter CC BY-SA 3.0
Vielen Dank für diesen sehr guten Artikel!
War sehr Hilfreich. 🙂