Im ersten Teil der Artikelreihe Hypertrophie-Spezifisches Training haben wir uns mit der Frage beschäftigt, warum Hypertrophie-Spezifisches Training Sinn macht. In diesem zweiten Teil möchte ich nun die konkreten Trainingsprinzipien vorstellen.

Hypertrophie-Spezifisches Training – Die Prinzipien

Strategische Dekonditionierung

Die Strategische Dekonditionierung nimmt eine Schlüsselrolle im Hypertrophie-Spezifischen Training ein. Sie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Hypertrophie-Spezifisches Training überhaupt funktionieren kann.

Schauen wir uns zunächst einmal kurz an, was und warum da überhaupt dekonditioniert werden soll:

Der Grund, weshalb Athleten in herkömmlichen Trainingssystemen dazu übergehen, ihr Training zu maximieren, ist der, dass die Muskulatur nach und nach „abstumpft“ und weniger empfindlich für Trainingsreize wird. Nach der Logik dieser Trainingssysteme begegnet man der „Abstumpfung“, indem man einen oder mehrere Trainingsparameter nach oben schraubt, um somit stärkere Trainingsreize zu setzen. Das klingt zunächst erstmal logisch. Doch diese Logik ist leider etwas zu einfach. Dieses Nachobenschrauben ist nämlich nur begrenzt möglich. Irgendwann stößt der Athlet zwangsläufig an die Grenzen des biologisch möglichen. Zudem bewirkt das Hochrauben von Volumen oder Intensität lediglich, dass sich die Regenerationszeit für das Nervensystem verlängert und somit die Regenerationszeit nicht mehr optimal für den Muskelaufbau ausgenutzt werden kann.

Doch warum gewöhnt sich der Körper überhaupt an die Trainingsreize? Die Antwort liegt zu einem großen Teil in einem Gewebe begründet, dem der Bodybuilder allgemein wenig Beachtung schenkt: Dem muskulären Bindegewebe.

Jede Muskelfaser und jedes Muskelfaserbündel sind von einer dünnen Bindegewebsschicht umgeben. Diese Bindegewebsschicht hat die Aufgabe, die Muskulatur vor mechanischen Mikroverletzungen zu schützen. Doch ausgerechnet diese Mikroverletzungen sind es, die Muskelwachstum überhaupt erst auslösen. Mit zunehmendem Trainingsfortschritt passt sich das Bindegewebe an die mechanischen Belastungen an und hält sie mehr und mehr von den Muskelfasern fern.

Den Ausweg aus dieser Sackgasse bietet eine regelmäßig durchgeführte strategische Dekoditionierung des Bindegewebes.

Welche Fortschritte im Muskelaufbau realistisch?

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Muskelaufbau - Welche Fortschritte sind realistisch?

Welche Fortschritte sind im Muskelaufbau realistisch? Leider wird uns darüber nur allzu oft ein falsches Bild vermittelt …

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So dekonditionierst du dein muskuläres Bindegewebe:

Vor jedem neuen Trainingszyklus Hypertrophie-Spezifisches Training legst du eine Trainingspause von 7-14 Tagen ein. Diese Trainingspause ist lang genug, damit das Bindegewebe sich deutlich zurückbildet, aber kurz genug, damit dein Körper noch keine Muskelmasse abbaut. Man sagt, dass Muskelabbau erst nach 14 Tagen ohne Training einsetzt.

Falls du in dieser Zeit an Masse verlieren solltest, so handelt es sich bei dieser Masse nur um Wassereinlagerungen in der Muskulatur, die aber schon ca. eine Woche nach Wiederaufnahme des Trainings zurückkehren.

Nach Durchführung der Strategischen Dekonditionierung ist deine Muskulatur für einige Zeit wieder empfänglicher für Trainingsreize. Das kannst du auch subjektiv daran spüren, dass du jetzt leichter wieder einen Muskelkater bekommst. Aber Vorsicht: Starker Muskelkater ist kontraproduktiv und sollte vermieden werden!

Darüber hinaus bietet die Trainingspause dem Nervensystem und den Sehnenansätzen die Möglichkeit, sich einmal ordentlich durchzuregenerieren. Dadurch wird sichergestellt, dass alle beteiligten Körpersysteme mit voller Leistungsfähigkeit in den neuen Trainingszyklus starten.

Du solltest die Strategische Dekonditionierung auf keinen Fall aus Vorfreude oder Ungeduld abkürzen

Physiologisch optimale Trainingsfrequenz

Wie in Teil 1 bereits beschrieben, ist die Proteinsynthese (also der Aufbau von Muskelsubstanz) nach dem Training maximal für 48 Stunden erhöht. Hypertrophie-Spezifisches Training passt die Trainingsfrequenz an diesen Wert an: Damit dein Körper ununterbrochen Muskeln aufbaut, muss jeder Muskel alle 2 Tage trainiert werden!

Mit einem stark gesplitteten Training, wie es gemeinhin als effektiv gilt, ist das leider nicht möglich. Es gibt nur 2 Möglichkeiten, wie du jeden Muskel alle 48 Stunden trainieren kannst:

Entweder führst du jeden zweiten Tag (bzw. 3 mal pro Woche) ein Ganzkörpertraining durch oder 6 Mal die Woche ein 2er Split Training. Der Vorzug ist in diesem Fall sogar dem Ganzkörpertraining zu geben. Einerseits stellen 6 Trainingstage die Woche einen immensen Zeitaufwand dar, der für die meisten Athleten nicht realisierbar ist, andererseits birgt ein solches Training ein erhöhtes Risiko für Übertraining, da Überschneidungen der trainierten Muskelgruppen nicht ganz vermieden werden können.

Jetzt wirst du vielleicht ungläubig den Kopf schütteln, nach dem Motto: „Ganzkörpertraining ist doch was für Anfänger!“ Wenn du dich ernsthaft auf das Experiment Hypertrophie-Spezifisches Training einlassen möchtest, musst du dich jedoch von herkömmlichen Vorstellungen verabschieden. Wie sagte schon meister Yoda? „Vergessen musst du alles, was du gelernt!“

Muskelversagen wird überbewertet

Wie ich im Artikel Training bis zum Muskelversagen bereits ausführlich beschrieben habe, führt Muskelversagen zu einer verlängerten Regenerationszeit für das Nervensystem. Wie wir wissen, versucht Hypertrophie-Spezifisches Training, genau das zu vermeiden. Ergo wirst du keinen Satz ganz bis zum Muskelversagen durchführen! Es genügt, ein bis zwei Wiederholungen vorher aufzuhören.

Sicherlich mag der Trainingsreiz durch diese fehlenden ein bis zwei Wiederholungen pro Satz ein klein wenig schwächer ausfallen. Doch diesen geringen Nachteil verwandelt Hypertrophie-Spezifisches Training in den Vorteil ununterbrochen Muskeln aufzubauen. Unterm Strich werden deine Fortschritte durch den Verzicht auf das Muskelversagen also beschleunigt.

Progressive Belastungssteigerung

Nach der strategischen Dekonditionierung ist die Muskulatur zunächst wieder empfänglich für Trainingsreize. Jetzt genügen schon vergleichsweise geringe Gewichte, um ausreichend starke Mikrotraumen in der Muskulatur zu provozieren und somit Muskelwachstum auszulösen. Doch das Bindegewebe wird sich mit der Zeit wieder anpassen. Damit die Anpassung des Bindegewebes nicht zu schnell voranschreitet, beginnst du dein Hypertrophie-Spezifisches Training zunächst mit den leichten Gewichten, die jetzt schon ausreichen. Im Laufe der Zeit steigerst du die Gewichte und gehst mit den Wiederholungszahlen runter.

Als ideal hat sich dabei folgendes Schema erwiesen:

Du beginnst zunächst mit einem Gewicht, mit dem du 15 Wiederholungen sauber bewältigen kannst, ohne ans Muskelversagen zu gelangen. Nach 1-2 Wochen erhöhst du dann auf ein Trainingsgewicht, das du 12 mal bewältigen kannst. Dieser Prozess wird so oft wiederholt, bis du bei deinem Gewicht für 5 Wiederholungen angelangt bist. Mit diesem Gewicht kannst du dann noch 3-4 Wochen weiter trainieren. An die hohen Muskelspannungen, die bei schwerem Gewicht auftreten, gewöhnt sich der Körper nämlich etwas langsamer.

Das Trainingsgewicht danach noch weiter zu steigern, macht dagegen keinen Sinn. Du würdest dann in den Bereich eines sogenannten Maximalkrafttrainings gelangen. Dabei würden deine Muskeln zu kurz unter Spannung stehen, für eine effektive Mikrotraumatisierung wäre das nicht mehr ausreichend.

Daher wird der Trainingszyklus Hypertrophie-Spezifisches Training an dieser Stelle beendet. Es folgt ein neuer Zyklus, der wieder mit einer Strategischen Dekonditionierung beginnt.

Physiologisch optimale Länge einer Trainingseinheit

Das Optimale Verhältnis zwischen Anabolen (aufbauend wirkenden) und Katabolen (abbauend wirkenden) Hormonen wird bei einer Trainingsdauer von 45-60 Minuten erreicht. Damit dein Hypertrophie-Spezifisches Training diesen Rahmen nicht übersteigt, sollte die Trainingseinheit nicht zu viele Sätze pro Übung beinhalten und vor allem auf Grundübungen setzen, bei denen du viele Muskeln gleichzeitig trainierst. Pro Muskelgruppe genügen 2-3 Sätze. Insgesamt sollte die Trainingseinheit nicht mehr als 18-20 Sätze beinhalten.

Das mag vielleicht etwas wenig klingen, aber bedenke, dass du mit dieser Methode an jedem Tag der Woche Muskeln aufbauen wirst!

Durchführung Hypertrophie-Spezifisches Training

Folgende Tabelle zeigt dir, wie ein Zyklus Hypertrophie-Spezifisches Training aufgebaut ist:

7-14 Tage strategische Dekonditionierung (nur Ausdauertraining und Eierschaukeln erlaubt)
Dauer Trainingsart Sätze pro Muskel Wiederholungen
1-2 Wochen Ganzkörper Training 3x/Woche 2-3 15
1-2 Wochen Ganzkörper Training 3x/Woche 2-3 12
1-2 Wochen Ganzkörper Training 3x/Woche 2-3 10
1-2 Wochen Ganzkörper Training 3x/Woche 2-3 8
1-2 Wochen Ganzkörper Training 3x/Woche 2-3 6
3-4 Wochen Ganzkörper Training 3x/Woche 2-3 5

Je nachdem, in welchen Abständen du die Gewichte erhöhst, dauert ein Zyklus Hypertrophie-Spezifisches Training 8-14 Wochen. Eine pauschale Empfehlung für die optimale Zykluslänge kann nicht gegeben werden. Hier solltest du selbst ein wenig experimentieren.

Trainingsplan Hypertrophie-Spezifisches Training

Trainingsplan Hypertrophie-Spezifisches Training (HST)

Eine wertvolle Ergänzung: Das Basisprogramm

Von Zeit zu Zeit sollte ein sogenanntes Basisprogramm zwischengeschoben werden. Dabei handelt es sich um ein Kraftausdauertraining mit 20 Wiederholungen pro Satz. Dadurch wird die Anzahl an Kapillargefäßen und Mitochondrien in deiner Muskulatur erhöht. Durch ein reines Muskelaufbautraining wächst nämlich lediglich das Volumen der Muskulatur, ohne dass Kapillaren und Mitochondrien sich wesentlich vermehren würden. Dadurch verschlechtern sich Kapillar- und Mitochondriendichte im Vergleich zur Muskelmasse. Langfristig würde das die regenerativen Fähigkeiten, sowie die Leistungsfähigkeit deiner Muskulatur mindern. Ein bis zwei Zyklen des Basisprogramms im Jahr sind bereits ausreichend um die Leistungsfähigkeit und regenerativen Fähigkeiten zu erhalten.

Nach dem Basisprogramm genügt eine kurze Trainingspause von 4-7 Tagen.

Für das Basisprogramm kannst du folgenden Trainingsplan verwenden:

Alternierender 2er Split Trainingsplan Kraftausdauer

Fazit Hypertrophie-Spezifisches Training

Wenn du mit deinem bisherigen Training ein Leistungsplateau erreicht oder womöglich nie so richtig gute Fortschritte gemacht haben solltest, ist Hypertrophie-Spezifisches Training auf jeden Fall einen Versuch wert. Vielleicht hast du Angst, mit einem so ungewöhnlichen Trainingssystem keine guten Fortschritte zu machen. Aber was hast du schon zu verlieren?

Hypertrophie-Spezifisches Training ist das wahrscheinlich wissenschaftlichste Trainingssystem, das im Bodybuilding jemals aufgetaucht ist. Trotz aller überschwänglicher Worte möchte ich es aber nicht gleich zum Heiligen Gral in Punkto Muskelaufbau hochstilisieren. Bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Auch andere Trainingssysteme können gut funktionieren. Wichtig ist vor allem, dass du es mit der Maximierung von Trainingsparametern nicht übertreibst. Die Natur liebt den Goldenen Mittelweg und scheut unnötige Extreme. Wo genau dieser Mittelweg liegt, muss letzten Endes jeder für sich selbst herausfinden. Hypertrophie-Spezifisches Training ist zweifellos eine Möglichkeit, aber bei weitem nicht die einzige.



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